Plötzlich umgibt uns wieder dichter Nebel. Es kommt mir vor wie ein schwerer Vorhang, der zum Beginn der Vorstellung fällt... Die Vorstellung, in welcher wir sitzen, heisst “Transsib entlang den Ufern des Baikalsees”. Die Szene ist einmalig!
Abends rollt unser Zug in der nächsten grossen Stadt ein. Der Bahnhof ist ein prächtiges Beispiel russischer Bahnhofsbaukunst! Ein stattliches Gebäude dessen Fenster von crèmig-weissen Bogen eingefasst sind und dessen Wände mintgrün gestrichen sind. Diese Farbe scheint den Russen besonders gut zu gefallen. Auf jedenfall sind von hierweg westwärts die meisten Bahnhöfe in dieser Farbkombination gehalten. (Lieber Chrigu, liebe Céline, das lässt uns immer wieder an euch denken...!). Über dem Dach prangt in roter Farbe der Schriftzug “ИРKУTCK”.
rkutsk ist denn auch unsere Weihnachtsbasis. Von hier aus fahren wir für einen Tagesausflug mit einer Marschrutka (Minibus) nach Listwjanka einem Touristendorf direkt am Baikalsee. Die Stimmung ist mystisch – der Nebel hängt tief über dem Wasser und die Sicht ist stark eingeschränkt. Nebst ein paar wenigen verrückten Touristen hält sich bei diesen Verhältnissen niemand draussen auf. Die Wellen schlagen unermüdlich ans Ufer und wir können uns noch gar nicht vorstellen, dass dieser immense See in wenigen Wochen zugefroren sein wird. Die feuchte Kälte treibt uns in ein warmes Kaffe, wo wir uns einen Omul (Fisch, den es nur im Baikalsee gibt) und “Grossmutters Keller” (salzig eingelegtes Gemüse) gönnen.
Die Weihnachtstage feiern wir mit einem speziellen Programm. Per Marschrutka erreichen wir nach etwa vierstündiger Fahrt die engste Stelle zwischen dem “Festland” und der grössten Insel im tiefsten Süsswassersee der Welt. Eine Fähre bahnt sich ihren Weg durch die Furt, welche hier schon teilweise gefroren ist. Auf Olkhon kommen wir im Dorf Khuzhir im Gästehaus von Olga unter, wo wir köstlich (und deftig!) verköstigt werden. Wir füllen die Tage mit ausgedehnten Spaziergängen durch den Winterwald und einer Fahrt mit einem dieser ulkigen UAZ-Mobile. Wasilji, unser Fahrer führt uns in abenteuerlicher Fahrt durch den Schnee an die schönsten im Winter zugänglichen Flecken rund um Khuzhir. Besonders in Erinnerung bleibt uns der heilige und mystisch im roten Abendlicht schimmernde Schamanenfelsen und die vielen Hunde die streundend durchs Dorf unterwegs sind. Am Heilgabend lassen wir für uns die hauseigene БАНЯ (=russ. Sauna) heizen. In unserem Zimmer haben wir in einer Ecke einen Föhrenzweig hingelegt, entzünden die weitmitgereisten Kerzli und lesen in dieser feierlichen Stimmung traditionsgemäss die berührende Geschichte von “Zwölfischlägel”.
Für eine Nacht kehren wir nach Irkutsk zurück und schlendern durchs geschäftige Treiben der bunten Stadt. Weiter fahren wir dann ins am Jenissei liegende und von der Schwerindustrie geprägte Krasnojarsk, wo uns Yulia in den Stolby-Naturpark führt und wir mit ihr und ihrem Mann Alexej zwei zufriedene Tage verbringen.
Wie viele andere Touristen, fahren wir nach Tomsk um die alten, meist gut erhaltenen Holzhäuser zu bestaunen. Ja, und für diese lohnt es sich sogar so richtigrichtig kalte Füsse zu kriegen... brrr! Es ist wieder um die -25°C...
In der Silvesternacht, nach den obligaten „Züpfe-Söili“ und selbstgemachten Sushi nehmen uns unsere Gastgeber mit in die Stadt um mit vielenvielen andern Tomskern das neue Jahr mit einem grossen Feuerwerk zu begrüssen. „С НόВьІМ ΓόДОМ!“ - „es guets Nöis!“
Über Novosibirsk, wo wir nach der frühmorgendlichen Ankunft ganz nach russischer Art - auf den Bänken des grossen Wartsaals ausgestreckt - noch eine Mütze Schlaf nachholen, später über die immense Stahlkonstruktion der Eisenbahnbrücke über den Ob staunen, die Nikolai-Kappelle -geographisches Zentrum des russischen Zarenreichs - besuchen und dem Treiben auf der städtischen Eisenbahn beiwohnen, gelangen wir wiederum mit einer Marschrutka in die Nähe des Städchens Akademgorodok. Mit unseren Gastgebern können wir anderntags dieses wissenschaftliche Zentrum Sibiriens erkunden und geniessen schliesslich trotz eisigen Temperaturen einen Spaziergang zum und auf dem gefrorenen Ob-Stausee.
Nächster Halt: Omsk. Die siebtgrösste Stadt Russlands war im 19.JahrhundertVerbannungsort für Dissidenten, 1918-1919 Residenz der anitkommunistischen Regierung und erlebte während des zweiten Weltkrieges durch die Verlegung vieler Industriebetriebe aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nach Sibirien wirtschaftlichen Aufschwung. Wir erleben äusserst herzliche Gastfreundschaft bei Pavel und seiner Mutter und erfahren durch den jungen interessierten Mann interessante Aspekte aus der russischen Geschichte. Zudem nimmt er uns einen Tag lang mit zu seiner Arbeit in einem Töpferatelier.
In Ekaterinburg – der Stadt am Ural – gibt es ein schönes Wiedersehen. Vor fünf Monaten haben wir Darya und Sergej im Hostel in Bukhara kennengelernt. Und nun holen uns die beiden am Bahnhof ab...! Wow! Sie zeigen uns ihre Stadt. Gemeinsam geniessen wir den Ausblick über die Stadt vom höchsten Gebäude, lauschen in der Nacht der orthodoxen Weihnacht den Glocken der Kathedrale auf dem Blut (wurde zu Ehren der hier ermordeten Zarenfamilie Romanov erbaut), machen mit Darya einen Ausflug in einen Naturpark und lassen uns von diesem herrlich verschneiter Winter-Märchenwald bezirzen. Schliesslich kommen gar zum Genuss auf einer russischen Eisbahn – jede Stadt verfügt über mindestens eine - ein paar Kreise zu ziehen. Zum Abschluss , am dritten Tag, wird uns ein köstliches Abendessen serviert. Vielenvielen Dank euch beiden!!
Während der nächsten Zugfahrt, die einmal mehr von herzlichen Begegnungen mit den auf den ersten Eindruck so kühl erscheinenden RussInnen, geprägt ist, erreichen wir mit der Querung des Uralgebirges nach acht Monaten auf dem asiatischen Kontinent wieder europäischen Boden. Der Kontinentenwechsel erfolgt wortwörtlich rollend und für uns unmerklich. Umso mehr geniessen wir es in der Tatarenhauptstadt Kasan wieder durch „europäische“ Gassen zu schlendern. Auch wenn die multikulturelle Atmosphäre eigentlich gar nicht darauf hinweist... (Na gut, einige Gebäude erinnern nun doch schon ein bisschen an den Stil von St. Petersburg – und dies ist, wie wir später feststellen werden – ja bereits sehr europäisch...!) Während unseres Aufenthaltes reicht es nebst dem Schlendern für einen Besuch des Kremlins (Weltkulturerbe) und der Kul-Shariff-Moschee.
in letztes Mal weisen wir bevor wir den Zug besteigen unsere Pässe vor. Ja, und dann... dann erreichen wir einen Monat nach der Abfahrt in Vladivostok das andere Ende der transsibirischen Eisenbahn. Wir haben das grösste Land der Welt mit dem Zug durchquert! Und wir haben diese Art von Reisen liebgewonnen. Jetzt verabschieden wir uns von vielen heissen Tees und Fertigsuppen, welche wir uns jeweils beim Samowar (Heisswasserspender) angebrüht haben, von überheizten Zugwagen, strikten und hilfsbereiten Provodniks/Provodnitsas, Betten, die uns jeweils in den Schlaf geschaukelt haben, dem ständigen Wechsel der Zeitzonen (insgesamt derer sieben), unzähligen rauchenden Kaminen die am Fenster vorbeiziehen,.... Es hat sich so gelohnt, unser winterliches Transsib-Abenteuer!! Dankbar tragen wir all die bewegenden Begegnungen mit uns.
Die Menschen im Osten des Landes pflegen zu sagen, Moskau sei nicht Russland. Was anfangs etwas unwirklich klang, konnten wir während unserer Reise selber erleben. So freuen wir uns, dass sich Tanya und Sergej Zeit nehmen uns verschiedene Facetten dieser riiiesigen Stadt zu zeigen. Roter Platz mit dem Leninmausoleum und Basiliuskathedrale („täfeli-farbigi“ Zwiebeltürme), Kremlin, das historische Riiiiesen-Kaufhaus GUM, die Christi-Erlöser-Kathedrale, Tretjakow-Galerie, die Monorail, die Wolkenkratzer, … und die Metrostationen, welche mit ihren in verschiedenen Techniken gehaltenen sowjetischen Motiven anmuten wie kleine Galerien.