Heute ist unser 18. Reisetag – gesetzt der Fall, auch Ruhetage werden als Reisetage gezählt. Vor zweieinhalb Wochen sind wir in Baggwil bei mehr oder weniger einladendem Wetter also losgefahren. Ein letztes Mal gestärkt durch ein feines Mahl von Susanne. Die erste Etappe führte uns dann in den Oberaargau, wo wir bei Davids Tante und Onkel nochmals eine Nacht an der Wärme verbringen durften. Danke! Die folgenden Nächte haben wir in unserer grünen Exped-Villa irgendwo an schönen Flecken in der Schweiz verbracht. Als wir einmal einen Karten-lese-Stopp eingelegt haben, hat kurz darauf ein Wagen neben uns angehalten. Vielen Dank dem lieben Just-Vertreter für den Routentipp und die hilfreichen Müsterli, die wir mit auf den Weg bekommen haben. Der Routentipp deckte sich übrigens exakt mit demjenigen, welcher Hannes uns frühmorgens per SMS vorschlug. In Sursee wurden wir von Kurt angesprochen. Er war hoch erfreut über unser Vorhaben und erzählte uns von seiner Tour nach Asien. Am Walensee wurde das Wetter mit Schnee und Regen so richtig garstig und nach einer Etappe, während welcher zwar die Sonne unsere Nasenspitzen kitzelte, wir die Räder aber grossenteils durch Matsch und Schnee schieben mussten (Schweizer Velowege sind vor allem im Sommer geeignet...) durften wir in unserer neuen Heimat in Pignia einen herzlichen und wunderbaren ersten Ruhetag geniessen. Vielen lieben Dank Melanie und Nicola mit Nevio!
Da die Wetteraussichten nicht gerade rosig waren, entschieden wir uns – entgegen unserem Plan über Julier und Maloja zu fahren – die Alpensüdseite per Postauto zu errreichen. Auf der Passhöhe des San Bernardino schneite es grosse Flocken und unsere Planänderung schien uns richtig zumal die Strasse mit dem Fahrrad kaum befahrbar gewesen wäre. Während wir uns in Bellinzona einen Kaffee genehmigten, hat sich Petrus' Laune deutlich verbessert und so konnten wir schliesslich bei Sonnenschein über den Monte Cenenri hinunter an den Lago di Lugano strampeln. Die Suche nach einem geeigneten Platz für die Nacht gestaltete sich in dieser Region, wo jedes Fleckchen Seeanstoss “privato” ist, herausfordernd. Schliesslich wurden wir auf einem noch geschlossenen Camping fündig. Am nächsten Tag haben wir in Chiasso die Grenze überquert. Hallo Italien, wir kommen! Wie lange wird es wohl dauern, bis wir wieder Schweizer Boden unter den Rädern haben...? Bis wir etwas aus dem Ballungszentrum von Como raus waren, war das grosse Verkehrsaufkommen für uns beide anstrengend und verlangte volle Konzentration. Je weiter wir südwärts vorrückten, umso besser fanden wir uns mit der Karte zurecht und gelangten nun auch auf kleinere Strassen, welche angehnehmer zu beradeln waren. Es wurde immer flacher. Die Po-Ebene war erreicht. Linkerhand, also nordöstlich, grüssten uns jedoch immer noch wunderbar verschneit die Gipfel der italienischen Alpen – eine wirklich schöne Szenerie! Mitten auf einer vielbefahrenen Kreuzung – wir studierten wieder einmal die Karte – hielt, ganz nach italienischer Manier, ein Wagen rechts ran. Ein Herr stieg aus und wollte wissen, ob wir italienisch sprechen. Als die italienische Antwort etwas zaghaft kam, wechselte er sofort ins Englische. Wo wir hinfahren würden? Und was wir besichtigen wollten? Hmmm... Keine Ahnung. Mal einfach Richtung Venedig... Worauf er meinte, ganz in der Nähe, gäbe es etwas “very particular” und wir sollten ihm doch einfach hinterher fahren. Wir staunten nicht schlecht, als der Wagen nach etwa drei Kilometern vor einem Unesco Weltkulturerbe stoppte. Vor uns lag in einer Senke Crespi d'Adda. Alex erläuterte , dass es sich um ein komplettes Dorf handle, welches in den späten 1920er-Jahren nach Englischem Vorbild rund um eine Textilfabrik aufgebaut wurde. Vom “Schloss” des Siedlungspatrons über die einfachen Saisonniersbaracken zu den Mehrfamilienhäusern der etwas besser gestellten Arbeitern bis hin zum Arzt- und Pastorenhaus – erhöht gelegen – ist alles zu finden und noch gut erhalten. Zudem wies er uns darauf hin, wo wir in der Nähe von Venedig preisgünstige Übernachtungsmöglichkeiten finden würden. Eine schöne und wertvolle Begegnung! Grazie Alex!
Kurz vor Verona mutete die Landschaft schon ganz mediteran an. Zypressen, Rebberge, sanfte Hügel, die südliche Architektur der Häuser und Gehöfte. Die Agglomeration von Verona erreichten wir im Dunkeln. Wir freuten uns sehr, dass der Besitzer des kleinen, total sympatischen Campings, uns trotz “siamo chiuso” reinliess und uns einen Platz für die Nacht gewährte. Am nächsten Morgen ergabt sich ein zufriedener Schwatz und wir erhielten hilfreiche Unterlagen für den bevorstehenden Besuch der Stadt des bekannten Dramas um Romeo e Giulietta. In der Stadt selbst scheint Mode das oberste Gebot zu sein und wir kamen uns in den Velokleidern ziemlich exotisch vor. Flurina wurde das “Schein&Sein”-Ding schon bald zu viel und so ergriffen wir – vorbei an Giuliettas Haus und dem Amphitheater – die Flucht. In Verona schien uns Venedig schon fast in Griffnähe. Da wir aber die kleinen Strassen mit wenig Verkehr bevorzugen, haben wir doch noch die eine oder andere zusätzliche Schlaufe gemacht. Dabei stiessen wir zwischen Padova und Trevisio auf einen wunderbaren Veloweg. Ganz wie Flurina dies bereits von Frankreich kennt, wird ein ausrangiertes Bahntrassee so neu genutzt. Die Bahnhöfe sind fast alle mit Efeu überwachsen und meist einsturzgefährdet. Und strahlen doch ihren ganz eigenen Charme aus. So, dass wir einmal sogar im Sichtschutz eines solchen übernachteten. Entlang dieses Veloweges entdeckten wir auch die wahre Leidenschaft vieler Italienerinnen – sie walken. Auch wenn das ganze meist etwas gemütlicher aussieht als bei uns... :-) Zudem gewannen wir sowohl hier, als auch auf den Strassen, den Eindruck, dass alle Italiener/innen bereits schon mit einer Sonnenbrille auf der Nase zur Welt kommen... B-)
Oft werden wir “interessiert” begutachtet und die Blicke folgen uns nicht selten im Halbversteckten noch ein Weilchen. Von sich aus kommt jedoch nur sehr selten ein “buongiorno”, was uns sichtlich irritiert. Suchen jedoch wir den Kontakt oder fragen nach dem Weg, so sind alle sehr hilfsbereit, neugierig und geben schliesslich auch gerne Auskunft.
Während der Pausetage haben wir uns in Lido di Jesolo eingerichtet. Letzte Bauarbeiten an Hotels und Hochdruckreinigereinsätze auf den Terrassen deuten auf die bald startende Sommersaison hin. Wir geniessen die Ruhe vor dem (Touristen-)sturm. Gestern gelangten wir mit Bus und Fähre nach Venedig. Wir zogen unsere eigene, ganz spontane Runde durch Gässchen, über Brücken und Plätze. Freude hatten wir an den unzähligen Gondolieri (unserer unbestätigten Vermutung nach mit je nach Reederei unterschiedlichen Farbbändern am Hut) und ihrer Kundschaft. Omnipräsent schienen die Murano-Glas-Souvenirs und die berühmten Karneval-Masken. Vor drei Maskenwerkstätten blieben wir fasziniert ob der Handwerkskunst stehen. Gesehen haben wir letztlich wohl nur einen Bruchteil von all dem, was von “Venezia” sehenswert wäre. Dafür konnten wir – auch mit der Photokamera – verschiedene, für uns charakerisierende Momente der Stadt und ihrer Bewohner einfangen. Besonders angetan hat es uns der Campo S.Polo. Hier scheinen sich nach Feierabend Mütter mit Kindern, Hündeler, Arbeiter, Senioren, ... zu treffen. Es wurde geplaudert, gespielt und gekläfft. Letztenendes und etwas zu unserer Enttäuschung fanden wir kaum noch Spuren der alten Seidenstrasse, deren Ende/Beginn Venedig in Europa war. Nur vereinzelte Geschäfte boten noch Seidenwaren oder gar Stoffrollen – wohl aus fernost stammend – an. Gespannt halten wir auf dem weiteren Reiseweg Augen und Ohren nach Zeitzeugen der grossen und berühmten Handelsstrasse offen.